Dezember 13, 2024

Ihren wahrscheinlich letzten Abend als Kandidatin wollte Marie nicht im Big Brother Haus verbringen. Hier gingen ihr die anderen Teilnehmer aus dem Weg und niemand wollte wirklich mit ihr reden, ausser banalen Smalltalk. So kam zu der Sorge um Marie’s Verbleib im Wettbewerb noch die Ablehnung der anderen Kandidaten, die sie eigentlich für ihre Freunde gehalten hatte. Nie zuvor hatte Marie Freunde im Leben und war eigentlich glücklich, endlich Sims gefunden zu haben, die man nah an sich heranlassen kann, mit denen man gutes und weniger gutes teilen kann. Seit gestern ist nun alles anders und irgendwie fühlte sich Marie allein wie nie zuvor. Marie verliess abends das Haus und lief einfach ziellos umher, wusste nicht, wohin. Schliesslich wurde es spät und der nahe Park brachte sie auf die Idee, auf einer Bank zu schlafen.

Am Morgen war Marie klar, dass inzwischen die Entscheidung gefallen sein musste. In ihren Augen eine völlig unverständliche Entscheidung. Es war nicht einmal eine richtige Aufgabe und für Marie gab es nicht die geringste Chance, sie zu lösen. Immer wieder dachte Marie nach, was sie wohl falsch gemacht hatte, aber sie fand nichts, ausser ihrer verkorksten Kindheit. War sie etwa selbst schuld daran, dass sie immer wieder eine Strafe dafür verdient hätte?

Schliesslich klingelte das Handy und die Wettbewerbsleitung war am Apparat. Niemand fragte, wie es Marie ging, wie sie sich fühlte, wo sie die Nacht war. Es hiess einfach nur, „die Stimmen sind ausgezählt, für dich ist der Wettbewerb vorbei, viel Glück noch im weiteren Leben“. „Das war es jetzt“, dachte sich Marie und ausser diesem Satz war es vollkommen leer in ihrem Kopf. Der Satz bildete ein merkwürdiges Echo und hallte in Marie’s Kopf, dröhnte richtig. Marie wunderte sich noch, dass sie nichts fühlte, wo sie doch eigentlich etwas fühlen musste. Irgendwie musste es aber raus – keine Ahnung was, aber es musste raus. Marie rannte einfach los ohne nachzudenken und ohne mitzubekommen, dass sie eine Strasse überquerte, ohne das herannahende Taxi zu bemerken.

Schon war es passiert. Das Taxi konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, erwischte Marie noch leicht, aber genug, dass Marie einige Meter durch die Luft flog und am Eingang des Parks bewusstlos liegen blieb. Glücklicherweise kam der örtliche Stadtstreicher Festus Clochard vorbei und rief über Marie’s Handy einen Krankenwagen. Das Taxi war einfach weitergefahren, ohne dass sich der Fahrer um die verletzte Marie kümmert. Die Paparazzi und Klatschreporter waren allerdings bereits zur Stelle und die BALD Zeitung brachte ebenfalls schon einen Bericht auf ihrer Titelseite. Für die Yellow Press ist es immer ein gefundenes Fressen, wenn öffentlichen Personen Unglücke passieren.

Im örtlichen Krankenhaus wurde Marie versorgt und gründlich untersucht. Zum Glück bestand keine Lebensgefahr und Marie’s Verletzungen sind nicht allzu schwer. Sofort hat das Krankenhaus versucht, mit Marie’s Familie Kontakt aufzunehmen. Die Eltern haben versprochen, Marie in den nächsten Tagen vielleicht mal zu besuchen. Marie’s jüngere Schwester Melanie konnte nur über Handy erreicht werden. Melanie nahm zwar gerade selbst in einer anderen Stadt an einem Wettbewerb teil, machte sich aber sofort auf den Weg, fuhr die Nacht durch und hoffte sehr, bei Marie anzukommen, bevor sie aufwacht, damit sie sofort da ist, wenn ihre Schwester sie braucht.

Am frühen Morgen kam Melanie im Krankenhaus an. Auf der Fähre hatte sie irgendwie ein paar Minuten schlafen können. Erholt war Melanie allerdings nicht, denn ihre Gedanken kreisten immer nur um ihre Schwester. Nun sass sie in ihrem Zimmer vor ihrem Bett und wartete, dass Marie aufwacht. Marie hatte einige Schrammen im Gesicht, wirres Haar und wirkte wie ein Häuflein Elend. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür und die Eltern betraten das Zimmer. Der Vater ging sofort auf Melanie zu und machte ihr heftige Vorwürfe. „Da siehst du, was du angerichtet hast“, brüllte der Vater, „deine Schwester könnte tot sein nur weil du ihr den Floh ins Ohr gesetzt hast sie soll was aus sich machen“. Marie ist von dem Gebrüll erwacht und fühlte sich gleich noch viel elender. „Ich bin tot und in der Hölle“, dachte sie sich und fragte sich noch, womit genau sie das wohl verdient hätte. Thomas Pech hatte inzwischen bemerkt, dass Marie aufgewacht ist, liess seine jüngere Tochter einfach stehen und säuselte „mein armes Mädchen“. Jetzt war sich Marie sicher, es kann nicht die Hölle sein, sondern ist der falsche Film, in dem sie sich befindet. Marie kniff sich unter der Decke heimlich ins Bein, um zu klären, dass das nicht nur ein bescheuerter Traum ist. Das tat weh, also kein Traum. Marie hatte allerdings keine Lust auf Realität, drehte sich um und versuchte, wieder einzuschlafen. Bei dem Gezeter im Zimmer wollte das aber nicht so recht funktionieren.

Auch Melanie fand die Situation schon ihrer Schwester gegenüber sehr unangenehm, die ja schliesslich Ruhe brauchte. Damit etwas Ruhe einkehrt, sagte sie noch schnell zu ihrer Mutter „ich geh in die Cafeteria und komme wieder, wenn ihr weg seid. Marie braucht Ruhe“ und verliess erst einmal das Zimmer. Als ob Vater Thomas darauf gewartet hatte, weckte er Marie. „Deine laute Schwester ist gegangen, da siehst du, was du ihr bedeutest“, sagte er. Nach einer kurzen Pause fügte er an: „wir nehmen dich wieder mit zu uns, aber erstmal musst du schön gesund werden. Möchtet Du das?“ Als Marie nicht reagierte, „deine Schwester kann bei uns zuhause keinen Unfrieden mehr stiften und da weisst du, wo du hingehörst“. Marie reagierte noch immer nicht, aber Vater Thomas liess nicht locker. Schliesslich sagte Marie zu, denn sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben. „Gutes Kind“ sagte Thomas zu ihr, „alles wird wieder gut. Du müsstest nur schnell hier unterschreiben, damit du die beste Behandlung bekommst und wenn die Ärzte sagen, es ist gut, holen wir dich sofort ab“. Marie unterschrieb alles, ohne die Papiere zu lesen und hoffte, dass sie alle jetzt endlich in Ruhe lassen. Die Eltern gingen, Marie drehte sich um. Draussen meinte sie noch kurz, ihre Schwester mit dem Personal streiten zu hören, dachte sich noch „hat Papa doch recht, Melanie muss immer Unfrieden stiften“ und schlief ein. Marie wusste nicht, dass Melanie vom Krankenhauspersonal nicht mehr zu ihrer Schwester gelassen wurde. Die Eltern hatten schliesslich Marie’s schriftliche Vollmacht und hatten Besuche ihrer Schwester strikt verboten.

Gegen Abend wurde Marie wieder wach, als zwei Unbekannte das Zimmer betraten. Die beiden trugen Pflegeuniformen und forderten Marie auf, sich in den mitgebrachten Rollstuhl zu setzen. Marie hatte eigentlich Hunger, aber die beiden meinten, sie würde jetzt verlegt. „Hier gibt es nichts mehr zu essen, wir fahren in eine andere Klinik“ sagte der Mann. Auf Marie’s Fragen hiess es nur etwas von „Spezialklinik“ und die wäre für die beste Behandlung nötig. Also fügte sich Marie und liess sich mit dem Rollstuhl hinausschieben. Vor dem Haus wartete bereits ein Krankenwagen. Marie wunderte sich allerdings über den schlechten Zustand des Fahrzeugs, das deutliche Spuren von Rost aufwies. Das passte auch zu dem unfreundlichen Auftreten der beiden Pfleger. Die Frau hatte zwar noch keinen Ton gesagt, ihre Blicke sagten aber alles. Marie war das aber egal, denn sie fühlte sich eh so, wie die beiden aussahen. Marie wollte nur noch schnell irgendwas zu essen und dann nur wieder schlafen. In der anderen Klinik würde es sicher noch etwas essbares geben, schliesslich hatte Marie den ganzen Tag lang noch nichts zu sich nehmen können und nur geschlafen.

Schliesslich war die Fahrt zuende und Marie wurde von den Pflegern in ein eher düsteres Haus geführt, das von einer hohen Mauer umgeben war. Wie ein Krankenhaus wirkte das auf den ersten Blick eigentlich nicht, aber in der Tür stand ein Mann, der wie ein Arzt aussah. Auf dem Weg zum Zimmer kamen Marie zum ersten mal unangenehme Gedanken, denn die Gruppe passierte mehrere Gittertüren. Die Gänge im Gebäude waren eng und alles wirkte wenig freundlich. Im Zimmer angekommen, fragte Marie noch nach etwas zu essen. Die Frau in Schwesterntracht hatte plötzlich eine Spritze in der Hand. „Jetzt schlafen wir erstmal“, sagte die Frau und verabreichte Marie die Spritze schneller, als sie dagegen protestieren konnte. Marie wurde schläfrig und schlief schnell auf dem Bett ein, ohne sich vorher umzuziehen. Irgendwann in der Nacht wurde Marie dann wieder wach und stellte fest, dass sie nicht mehr ihre eigenen Klamotten trug, sondern ein merkwürdiges grünes und unbequemes Nachthemd, bei dem man bei der letzten Wäsche wohl den Weichspüler vergessen hatte.

Der Hunger wurde richtig gross und ins Bad müsste Marie eigentlich auch, und zwar ziemlich schnell. Hier muss es doch irgendwo ein Badezimmer geben, dachte sich Marie und wollte auf den Flur, um danach zu suchen. Leider blieb es bei dem Versuch, denn Marie musste feststellen, dass die Tür des Zimmers abgeschlossen war.

Fortsetzung folgt…

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